Ein Sprichwort, welches ich in meiner Arbeit immer berücksichtigt habe, ist: Du musst nicht alles wissen, nur wissen wen man fragen kann! Dazu kommt noch, dass man sich trauen muss zu fragen. Auch wenn man manchmal denkt sich fachich sozusagen selbst ins Bein zu schießen, wenn man Unwissenheut zugibt. Ich habe in Ellas Fall gleich alles auf eine Karte gestetzt und die großartige Mareice Kaiser gefragt. Ob sie was dazu sagen könne oder mir jemanden empfehlen kann. Und sie machte mich auf das Angebot „Eltern beraten Eltern e.V.“ aufmerksam.
Der Verein „Eltern beraten Eltern e.V.“ tut eben genau das, was sein Name sagt. Er bietet Beratung von erfahrenen Eltern für Eltern mit und ohne behinderte Kinder und schließt damit die Lücke, die Ella als „wir kennen keinen, der das gleiche Problem hat“. EbE e.V. kennt wen, oder kennt das Problem. und sie bieten Hilfe in vielen unterschiedlichen Formen. Sogar in Form von Krabbelgruppen, Familienzirkus und Elterncoaching. Auch in Ellas Fall musste ich nicht lange um Hilfe bitten, sondern sie haben kurzfristig einen wirklich ausführlichen Brief verfasst. An Ella und mich und letztlich an uns alle.
Ein Brief von Eltern für Eltern
Liebe Vanessa, liebe Ella,
aus unserem Netzwerk kennen wir viele Familien, deren Kinder mit Behinderung entweder eine inklusive Regelkita oder eine heilpädagogische Tagesstätte besuchen. Die Erfahrungen sind – genau wie Ella schon sagt – in allen Fällen sehr unterschiedlich. Hierzu vorab etwas Grundsätzliches: In unserer täglichen Arbeit rund um Kinder mit Behinderungen kommen wir immer wieder und in vielen Belangen zu der störenden Einsicht, dass Teilhabe sehr oft schlicht von Zufällen abhängt. Von den Menschen, die beteiligt sind, von den Ideen der Einzelnen, von Erfahrungen und Einstellungen. Das darf und sollte nicht so sein, da es sich bei Teilhabe um ein Menschenrecht handelt.
Aber zurück zu Ellas Frage: Meist ist es sehr schnell spürbar, ob eine Regelkita sich auf Kinder mit erhöhtem Förderbedarf einlassen kann und möchte oder nicht. Im Grunde ist genau das der Punkt, auf dem aufgebaut werden kann. Besteht eine echte, grundsätzliche Bereitschaft, wachsen aus unserer Erfahrung Kita und die jeweiligen Familien im Laufe ihrer gemeinsamen Zeit immer mehr zusammen. Dafür braucht es (leider) vor allem einen langen Atem von Seiten der Eltern: Umso häufiger sie auf das Personal zugehen, umso offener sie mit Bedarfen und Wünschen umgehen, desto erfolgreicher gelingt die Inklusion (meist). Es ist natürlich keine Einbahnstraße, aber wir hören oft, dass auch in ihrer Kita sehr zufriedene Familien immer wieder den Schritt auf die Kita zu machen mussten (ein Thema, dass sich übrigens ja auch über die Kita hinaus fortsetzt).
In letzter Zeit haben wir – und das finden wir wunderbar – häufiger Anfragen von Kitas, die gerne Kinder mit Behinderung aufnehmen möchten und sich dabei Unterstützung in Form von Beratung und praktischen Tipps wünschen. In den gemeinsamen Gesprächen zeigt sich dann oft, dass die Erzieher*innen Ängste haben, Fragen direkt und offen an die Eltern zu richten, da sie insgeheim annehmen, „so etwas“ als Integrationsfachkraft schon wissen zu müssen. Das ist natürlich Quatsch – jedes Kind ist eine eigene Persönlichkeit – und sollte auch gerne so angesprochen werden. Der Weg in eine gelingende Inklusion kann nur dann erfolgen, wenn niemand schon vorher meint, „Experte“ für den anderen zu sein, sondern mit Situationen offen und lösungsorientiert umgegangen wird.
Ela spricht ihre Sorge an, dass auch bemühte Einrichtungen den Kindern mit Förderbedarf nicht gerecht werden und diese dann ins Hintertreffen geraten. Diese Sorge ist absolut nachvollziehbar, da – wie bei Elas Tochter auch – Kinder mit Behinderung teilweise nicht in der Lage sind, sich Eltern oder Vertrauten mitzuteilen, sich Hilfe zu holen oder Bedürfnisse zu äußern. Natürlich ist es schwerer, loszulassen und Einrichtungen zu vertrauen, wenn das eigene Kind auf die Hilfe stark angewiesen ist.
Ein Weg könnte sein, diese Sorge offen anzusprechen, da es auch für die Erzieher*innen sehr unbefriedigend ist, den ihnen anvertrauten Kindern nicht gerecht zu werden. Ein guter Austausch über den Bedarf des Kindes im Abgleich mit dem Kitaalltag kann am ehesten zeigen, wo Lücken entstehen. Auch hier ist das Schwierige, dass es sich um ein Konglomerat aus individuellen und infrastrukturellen Ressourcen handelt, das eine gute Betreuung ermöglicht.
Und teilweise kommt es selbst, wenn alle am gleichen Strang ziehen, zu Situationen, in denen Einrichtungen dem Pflege- oder Betreuungsbedarf einzelner Kinder trotz redlicher Bemühungen nicht gerecht werden können. Da hapert es dann an ganz praktischen Dingen wie zusätzlichen Assistenzen, Hilfsmitteln, Personalstunden, Ressourcen für evtl. Umbauten etc.. An diese Grenzen stoßen besonders Familien von Kindern mit hohem Pflege- oder Assistenzbedarf leider sehr oft und kommen dann auf heilpädagogische Einrichtungen zurück. Diese Hindernisse in Form von langen, kräftezehrenden Auseinandersetzungen mit Kostenträgern führen zur Ausgrenzung von Kindern, die aufgrund dieser Faktoren nicht teilhaben können.
Definitiv macht es immer Sinn, sich viele mögliche Einrichtungen gründlich anzusehen, zu hospitieren und mit den dort arbeitenden Menschen in Kontakt zu kommen. So kann sich eine Entscheidung langsam herausbilden.
Wenn Eltern in Gesprächen mit den Kita-Erzieher*innen oder der Leitung jedoch wiederholt das Gefühl haben, dass das eigene Kind einen „Störfaktor“ darstellt, empfehlen wir, sich Hilfe von außen mit in die Kita zu nehmen. Sei es, Therapeut*innen, die das Kind kennen und noch einmal eine andere Sichtweise hereinbringen können, Ansprechpartner*innen aus dem SPZ oder eben Beratungsstellen. Letztendlich ist dieser Weg für Familien oft sehr anstrengend und mühsam, zumal dies häufig nicht der einzige Widerstand ist, den sie in ihrem Alltag bewältigen müssen. Daher haben wir auch schon empfohlen, die Kita zu wechseln, denn Ressourcen sind endlich. Ob es dann immer auch ein Wechsel in eine heilpädagogische Tagesstätte sein muss, lässt sich so nicht sagen. Aus unserer Sicht ist diese Entscheidung an jedem Übergang der Kinder immer wieder keine leichte, auch für das Schul- und Arbeitsleben. Auch hier: Meist hilft es bei der Entscheidungsfindung, sich infrage kommende Einrichtungen – ob heilpädagogisch oder nicht – sehr intensiv anzuschauen und ins Gespräch miteinander zu kommen.
Zur Person: Der Brief an Ella wurde von Franzisca Teske verfasst. Frau Teske, Jahrgang 79, ist Diplom-Sozialpädagogin und sytemische Begleiterin. Sie ist bei EbE e.V. als Projektkoordinatorin tätig und kümmert sich um die Vernetzungsarbeit. Ihre Beratungsthemen liegen im Schwerpunkt bei Entwicklungsverzögerungen, GuK und Wahrnehmungsstörungen.Frau Teske hat zwei Kinder.
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