Gerade erst gelauncht – schon fragt das ambitionierte Kita-Magazin mit mehreren Beiträgen nach der Umsetzung von Inklusion in unseren Kindertageseinrichtungen. Als lagE e.V. positionieren wir uns ebenfalls zum Thema und freuen uns über dieses neue Portal. Fachkräfte kommen hier ebenso zu Wort wie Eltern und wie so oft wird es beim Thema Inklusion persönlich.
Bloggerin Ninia LaGrande berichtet von ihren Erfahrungen im Bildungssystem und entwirft die Vision einer inklusiven Gesellschaft: Für jede*n müsse das Recht auf gesellschaftliche Teilhabe gelten. „Nicht nur, wenn es gerade passt oder nicht zu aufwändig ist“, sondern immer. Sie stellt den menschenrechtlichen Aspekt in den Vordergrund und wünscht sich, dass Kitas und Schulen Kinder unvoreingenommen aufnehmen. Sie sollen schauen, was gemeinsam möglich ist und prüfen, was sie verändern oder beschaffen müssen, um auch für dieses Kind ein guter Lernort zu sein.
Behördendschungel kann Teilhabe verhindern
In einer niedersächsischen Elterninitiative wäre dieses Vorhaben kürzlich beinahe „im Behördendschungel“ gescheitert. Ein Junge mit frühkindlichem Autismus kam neu in die integrative Gruppe. (Im Kita-Bereich gelten in unserem Bundesland immer noch die Regularien der Integration. Die Weiterentwicklung der Pädagogik in Richtung Inklusion sollen aber letztlich alle Tageseinrichtungen vollziehen. Eine Verbesserung der Rahmenbedingungen im „Regelbereich“, hier vor allem der Fachkraft-Kind-Relation ist dafür unabdingbar.)
Das oben erwähnte Kita-Team kam trotz Nutzung vielfältiger Unterstützungssysteme bei der Betreuung dieses Kindes an ihre Grenzen. Ein Jahr kämpften sie mit den Eltern dafür, dass mehr Ressourcen bereitgestellt werden um den Jungen angemessen begleiten zu können. Der Fall ging bis vor das Sozialgericht. Nun haben sie einen Einzelfallhelfer in der Integrationsgruppe, der das Team mit 10h pro Woche unterstützt. Erste Erfolge der pädagogischen Arbeit werden sichtbar.
Ein Verein macht sich stark
Weil nur wenige wissen, dass für das selbe Kind in einer heilpädagogischen Kita fast doppelt so viel Geld zur Verfügung stünde, hat sich der Verein Mittendrin Hannover e.V. mit einer Petition an den Niedersächsischen Landtag gewandt. Neben der Abschaffung dieser Ungerechtigkeit bei der Zuweisung von Geldern fordert der Verein für Inklusion einen Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz im allgemeinen Bildungssystem. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, sollte man meinen – fast ein Jahrzehnt nach Ratifizierung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung. Doch Niedersachsen hat immer noch die meisten Plätze in heilpädagogischen Kindergärten bundesweit. Viele Kinder werden mit Taxis in weit entfernte Sondereinrichtungen gefahren, weil die Kommunen kein bedarfsdeckendes Angebot an Integrationsgruppen vorhalten. Ich bin mir sicher, dass diese Praxis einer Klage von Eltern nicht standhielte. Doch welche Mütter und Väter haben schon die Kraft, einen solchen Präzedenzfall juristisch durchzufechten? Sicher gibt es auch Eltern, die den Schonraum der kleinen Gruppe bewusst wählen und befürchten, dass ihr Kind in der Integrationsgruppe nicht genug Förderung erhält. Und es gibt auch integrative Einrichtungen, die die Aufnahme von Kindern mit voraussichtlich „hohem“ Unterstützungsbedarf unter fadenscheinigen Argumenten ablehnen. Aber wenn nur 48,1 % der Kinder mit besonderem Förderbedarf einen „normalen“ Kindergarten besuchen, läuft doch etwas verkehrt.
Wie „behindert“ darf mein Kind sein?
Dass Eltern wie Ela immer noch der Kita-Leitung im „Bewerbungsgespräch“ ihr Kind und seine „Defizite“ darlegen müssen, und hoffen, den Fachkräften möglichst wenig Aufwand zu machen, ist ein Skandal. In Zeiten von Inklusion sollte die Einrichtung sich für die Beschaffung notwendiger Hilfen zuständig fühlen und auch zur Beantragung berechtigt sein.
Die Autorin fragt im Interview die Mutter, die für ihre Tochter vor der Entscheidung integrative oder heilpädagogische Gruppe steht: „Worum (…) handelt es sich in eurem Fall? Aus Kitasicht kann es schon ein großer Unterschied sein, ob wir hier von einem schweren Hirnschaden, einem Entwicklungsdefizit durch Gendefekt, einem Defizit durch Frühgeburt oder einem „einfachen“ Hörschaden reden.“
Natürlich macht es einen Unterschied: Für die Ausrichtung der pädagogischen Angebote und den Umfang des Förderbedarfs. Für den Zugang zum Kita-Platz jedoch sollte es nicht von Belang sein. Die Kita-Magazin-Autorinnen bezeichnen Inklusion als gute Idee, deren Umsetzung an den Rahmenbedingungen scheitern kann. Ich freue mich, dass es Leute gibt, die nicht müde werden, sich für Verbesserungen stark zu machen. Übrigens gibt es in Elterninitiativen schon lange eine Kultur der Beteiligung und des Nicht-Ausgrenzen-Wollens, die man Inklusion nennen kann. Eine laufende Studie der Uni Hildesheim, deren Partnerin die lagE ist, liefert weitere Belege dafür.
Inklusionskinder?
Eine Bemerkung zum Schluss: Mich freut sehr, dass hier der Begriff „Inklusionskind“, wenn er denn nur für einzelne Kinder gilt, als obsolet entlarvt wird. Irgendwie hat er sich in die Debatte „eingeschlichen“. Er verdeutlicht, dass Sprache mächtig ist und Realitäten schafft. Bei der Fachstelle Kinderwelten las ich den Begriff „Kinder, die behindert werden“ zum ersten Mal. Er gefällt mir. Denn mit Ninia LaGrande teile ich eine Vision eines Bildungssystems, in dem alle Kinder zuerst mal Kinder sind. Und die Erwachsenen dafür sorgen, dass sie möglichst wenig behindert werden.
Deshalb: Jetzt hier die Petition beim Niedersächsischen Landtag mitzeichnen! (das dürfen übrigens alle: Alter, Wohnsitz und Staatsangehörigkeit sind egal…)
Zur Person:
Birgit Rauschke ist Erzieherin mit heilpädagogischer Qualifikation und MarteMeo-Praktikerin und –Therapeutin in Ausbildung. Sie hat zwei erwachsene Kinder und über 20 Jahre Berufserfahrung in integrativen/inklusiven Kitas. Als Mitglied im Verein Mittendrin Hannover e.V. –Verein für Inklusion und Referentin der Landesarbeitsgemeinschaft Elterninitiativen Niedersachsen/HB e.V. engagiert sie sich für eine inklusive Gesellschaft.
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